Ich werde euch jetzt eine unglaubliche Geschichte erzählen. Sie handelt davon, wie uns das letzte Jahr auseinanderriss – und doch enger zusammenschweißte.

Wenn wir heute zurückblicken und uns erinnern, wie unser Leben vor einem Jahr war muss man mit Tränen in den Augen doch leicht grinsen. Man saß in Lokalen zusammen, arbeitete Trainingskonzepte für verschiedene Altersklassen aus und fachsimpelte an dem einen oder anderen Wochenende in unserer gut gefüllten gelben Halle über Trainer-, Spieler- und Schiedsrichterentscheidungen. Keiner von uns hätte damals erahnen können, dass sich unser Leben grundlegend verändern würde.

Im April holte uns eine Ausnahmesituation ein. Wir saßen vor den Fernsehern und lauschten den Worten der Bundesregierung. „Das werden echt anstrengende drei Monate, bis Corona überstanden ist“, dachte man sich und bestellte widerwillig die dritte Pizza der Woche über Lieferando. Wie sehr wir uns doch irrten.

Wie jedes Jahr erfolgte bald der Saisonwechsel. Wir verfassten für jedes der Kinder ein förmliches Willkommensschreiben, fuhren mit dem Auto durch Spandau und steckten jedem der Kinder einen personalisierten Brief mit inkludiertem Trainingsplan für drei Wochen (wir waren optimistisch) in den Briefkasten. Über die Eltern verteilten wir ein Video, in welchem wir uns den Kindern vorstellten und die Koordinations- und Kraftübungen des Trainingsplans für zu Hause vormachten. Aufgabe der Kinder war es, uns „Beweisvideos“ ihrer Aktivitäten zurückzuschicken. Aus diesen Videos wurde jeweils ein Wochenrückblick zusammengeschnitten. Getrennt, und doch zusammen! Das #Homesporting war geboren. Das Ganze ging dann nicht, wie ursprünglich angedacht, 3 Wochen, sondern 2 Monate. Zu den wöchentlichen Trainingsplänen kamen Sonntags-Challenges und eine kreative Oster-Foto-Challenge. Durch die Verteilung von Punkten für Engagement und Leistung kürten wir unsere Homesporting-Meisterin mit einem Sieger-Shirt. Auch erfuhren wir, dass unser jährliches Jugendturnier, der Bärlincup, Corona-bedingt abgesagt worden war. Das war ein ziemlich harter Schlag für alle Jugendtrainer und -spieler. Auch unser jährlicher Sponsorenlauf sollte dieses Jahr digital stattfinden. Mit unserer ADIDAS-Runtastic App zogen auch wir in die Schlacht und erliefen den ein oder anderen Euro für die Vereinskasse.

Ende Mai war es dann so weit. Die ersten Lockerungen erlaubten es uns, in
8er-Gruppen (Trainer inbegriffen) an der frischen Luft zu trainieren. Das Ganze unter den Auflagen, dass die Hände vor, während und am besten noch dabei desinfiziert werden, jeder nur seinen eigenen Ball benutzt (also keine Pässe spielen), immer ein Abstand von 1,5m gewahrt bleibt und die Einbahnstraßen-Regelung des Sportplatzes beachtet wird. Das gestaltet sich nur leider etwas schwierig, wenn man 21 Spielerinnen hat, einen Kontaktsport betreibt und vor allem eigentlich zu Beginn der Saison das Teamgefühl stärken möchte. Wir mussten uns wohl etwas einfallen lassen.

Wir beantragten drei Trainingszeiten über zwei Stunden auf dem Sportplatz in Hakenfelde. Zu Beginn der Woche musste jeder die für ihn wahrnehmbaren Trainingszeiten angeben und am Wochenende erstellten wir ein Konzept, dass es allen Kindern erlaubte, zwei Trainingseinheiten à 45 Minuten in der Woche wahrzunehmen.

Wir begannen also mit einer etwas alternativen Art der Saisonvorbereitung. Nicht nur die Athletik der Kinder hatte über den Lockdown gelitten, auch das Ball-Gefühl ließ nach so langer Zeit zu wünschen übrig. Mit verschiedenen Athletik-Cross-Parcours und individuellen Übungen zur Körper- und Ball Kontrolle, immer unter Einhaltung von 1,5m Abstand machten wir unsere Mädels fit mit der längsten Saisonvorbereitung, die wir je erlebt haben. Doch das war nur der Anfang…

Die Sommerferien brachten einen großen Hoffnungsschimmer mit sich. Entgegen der üblichen Regelungen blieben in diesem Jahr die Hallen für den Vereinssport geöffnet und auch Kontaktsport war mittlerweile wieder erlaubt. Mit unseren Trainingseinheiten und zwei Trainingslager-Wochenenden auf dem Platz versuchten wir die Kinder bei Laune zu halten, insbesondere, da für einige der langersehnte Sommerurlaub auf Grund von Reisebeschränkungen auch noch ausfallen musste. Das erste Mal wurde uns unsere Rolle in diesen Zeiten bewusst: Wir sind dafür verantwortlich, dass die Kinder Sport machen und sich keinen Blödsinn aus Langeweile einfallen lassen.

Die Monate August, September und Oktober verliefen in Bezug auf unseren Trainingsbetrieb sogar normal. Die Saison, die im September anfing, war jedoch alles andere als normal. Nur unter Einhaltung engster Hygienevorschriften, Stellung von Ordnern, Markierungsschildern in der Halle, Listen zur Kontaktnachverfolgung, Stellung von Desinfektionsmittel und vielen weiteren Vorgaben war es möglich, Zuschauer zu empfangen. Da dies für die meisten Vereine kaum zu stemmen ist, entschieden auch wir uns dafür, Zuschauer vollständig zu verbieten und die Duschen zu sperren. Unsere Spiele wurden Dank sehr engagierter Helfer live aus der gelben Halle im Internet übertragen, sodass man von der Couch aus mitfiebern konnte. Lange hatten wir jedoch keine Freude an der „Saison“.

Am 30. Oktober trat ich mit Tränen in den Augen in die Halle. „Teillockdown im November“ hieß es einige Stunden zuvor in sämtlichen Zeitungen. Eine niedergeschlagene Stimmung machte sich breit, als ich den Kindern beichtete, dass dies unsere letzte Trainingseinheit in der Halle werden würde. Das Leben wurde wieder weitgehend eingeschränkt und uns war klar, dass wir nun etwas unternehmen mussten. Die Tage waren dunkler, die Temperaturen kälter geworden und jeder von uns weiß, wie bedrückend diese Jahreszeit sein kann, vor allem, wenn man eigentlich nichts tun darf, außer zu Hause Netflix zu gucken. In die traurigen Augen der Kinder zu sehen, machte mich wahnsinnig und somit rief ich am nächsten Tag beim Sportamt in Spandau an. Die einzige Möglichkeit war es, auf dem Sportplatz in 10er-Gruppen zu trainieren. Im November? Kein Problem! Fortan trainierten wir mittwochs abends unter Flutlicht und samstags mittags im Sonnenschein. Das klingt für einen Fußballer vielleicht normal, aber für einen Hallensportler, dem es schon zu kalt wird, wenn ein Fenster in der Kabine kaputt ist (passiert in Berlin hin und wieder mal), ist ein Novembertraining auf dem Platz schon eine ordentliche Leistung.

Es ging den Mädels immer noch besser als denen, die ein Jahr älter waren. Die durften nämlich gar nicht mehr trainieren. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion bastelte ich vier Stunden lang an Microsoft-Teams herum, damit wir dort zwei Trainingsgruppen betreuen konnten. Die älteren trainierten fortan zweimal wöchentlich digital.

Die jüngeren sollten bald folgen. Als es dann auf den Dezember zuging wurde es entschieden zu kalt. Die teilnehmenden Spielerinnen wurden immer weniger und bald strichen wir das Mittwochstraining aus unserem Plan und trainierten nur noch samstags zwischen 10 und 12 Uhr. Von Handball war schon lange nicht mehr die Rede. Die Luft war so kalt geworden, dass Training ohne Handschuhe schlichtweg unmöglich war. Auch für den Softhandball, den wir extra für das Platztraining gekauft hatten, weil er leichter zu greifen war, wurde es einfach zu kalt. Handball und Handschuhe sind nur schwierig vereinbar, daher konzentrierten wir uns wieder einmal auf unsere Athletik. Cross-Parcours, Laufspiele, Koordinations-Parcours und wieder einmal einige Platz-Challenges, deren Sieger zu Weihnachten mit Preisen geehrt wurden. Wer hätte gedacht, dass wir uns Ende Dezember auf dem Sportplatz mit Kinderpusch aufwärmen würden?

Seit einigen Wochen war nur noch der „harte Kern“ der Mannschaft beim Training. Eines Tages brachten sie eine Karte und eine Schale Kinderschokolade mit zum Training, sie wissen, dass ich die am liebsten esse. Ich öffnete die Karte und las den Text:

Liebe Ticci, Steffi und Sandra,

wir bedanken uns für das schöne Training,
trotz der geringen Anzahl der Beteiligten.
Uns allen macht das Training sehr Spaß.
Wir hoffen, dass das Training trotz Corona weiterhin stattfinden wird.

Liebe Grüße

 

Es war ein unglaubliches Gefühl und ich wusste in diesem Moment, warum wir all das machen. Warum ich jeden Samstag früh aufstehe und zwei Stunden in der Kälte stehe und auch warum ich jeden zweiten Tag Online-Konferenzen mit 11-14 jährigen führe, um mit Ihnen Sport zu betreiben. Wir Erwachsenen stecken vieles weg und versinken trotzdem gern in Selbstmitleid, aber wer denkt an die Kinder? Sie können nicht zur Schule, werden aber mit Hausaufgaben überschüttet. Sie dürfen nicht in den Urlaub fahren, können nicht ins Kino, zu McDonalds oder schwimmen gehen. Auch Freunde dürfen Sie nicht treffen. Eines der wenigen Dinge, die sie noch haben ist unser Training und die Zeit mit ihrer Mannschaft. Der Rasen war schon glatt und das Training bestand fast nur noch aus Laufen. Trotzdem kamen die Kinder jede Woche wieder zum Training, weil es ihnen wichtig war. Doch dann ging das Jahr zu Ende und mit dem neuen Jahr kam auch ein positiver Corona-Test für uns Trainer. Während unserer Quarantäne stiegen wir auf Online-Training um und schlitterten in den nächsten Komplett-Lockdown… jetzt auch ohne Platztraining.

Wir haben jetzt Februar. Seit einem Monat sind wir im E-Training. Mittwochs, freitags und samstags haben wir zwei Stunden Online-Training. Unsere Spielerinnen waren wohl noch nie so fit wie heute. Kein Wunder, sie haben seit einem Jahr fast nur ihre Athletik trainiert, mit Ausnahme von drei Monaten. Vor kurzem sollte eine einfache Körpertäuschung gezeigt werden. Keine Chance. Mindestens einmal pro Woche bleiben wir nach dem Meeting in der Konferenz, die Kinder erzählen uns, wie ihre Woche im Homeschooling lief oder es wird einfach nur in der Gruppe geredet, gelacht und sich ausgetauscht. Wie wichtig der Sport im Leben von uns allen und vor allem im Leben von Kindern ist, habe ich in diesem Jahr deutlicher denn je erfahren. Ich hoffe, dass wir an einem nicht allzu weit in der Ferne liegenden Tag wieder gemeinsam trainieren können. Man kann vieles zu Hause machen: Homeoffice, Homeschooling und von mir aus auch die siebte Pizza in zwei Wochen zu Hause essen.

Aber der Mannschaftssport leidet und mit ihm die sozialen Komponenten des Teamsports. Auch wenn ein „Handballtraining“ auf dem Sportplatz bei Minusgraden und Kinderpunsch den verbleibenden „harten Kern“ zusammenschweißt.